Es ist noch dunkel als Jasmin um kurz nach 7 im Stechschritt die Domplatte quert. Während Köln gerade erst erwacht, weht der jungen Frau bereits kräftig der Wind entgegen. Ihr Ziel: ein Luxushotel zwischen der ehrwürdigen Kathedrale und dem Hauptbahnhof der Rheinmetropole. Hier arbeitet Jasmin als Zimmermädchen. Zwar sehen die 142 Premiumzimmer nahezu identisch aus, trotzdem weiß sie in ihrem Arbeitsalltag eigentlich nie, welche Überraschung hinter der nächsten Tür auf sie wartet.
Jasmin ist eine der Ersten, die ihre Chipkarte in den automatischen Türöffner des Personaleinganges steckt. Es macht kurz „Piep“, dann springt die Tür mit einem Knacken auf. Durch graue, Halogen beleuchtete Gänge gelangt sie zu den Umkleideräumen. Die schulterlangen, braunen Haare hat Jasmin zu einem glatten Zopf gebunden. Abgesehen von etwas Wimperntusche an den wachen, grünen Augen hat sie auf Make-up verzichtet. Seit fünf Jahren arbeitet die 27-Jährige im Housekeeping. Sie weiß, dass es auf ihr Aussehen wenig ankommt, schließlich sollen Zimmermädchen sowieso am besten unsichtbar sein. Der erste Schritt dahin ist die Hoteluniform. Jasmin streift eine einfache schwarze Stoffhose über und dazu das beigefarbene Hemd mit dem Hotel-Signet.
Ohne Gästekontakt
Bei der Teamleitung erhält sie gegen Unterschrift die Zimmerschlüssel. Gleichzeitig wird ein anstrengender Tag angekündigt: 117 Abreisen und 102 Anreisen. Das Hotel ist voll; es ist Messezeit. Während Jasmin ihren Rollwagen mit Lappen, Handtüchern, Bettwäsche und Reinigern packt, wird der Spruch des Tages verlesen: „Glaube daran, dass Du es schaffen kannst und Du hast den halben Weg bereits hinter Dir.“ Ein leichtes Augenrollen kann Jasmin nicht ganz verbergen. Mit der Wasserflasche unterm Arm geht sie Richtung Personalaufzug. Zimmermädchen haben ihren eigenen Lift und benutzen ein gesondertes Treppenhaus. Gästekontakt ist nicht erwünscht.
Diskretion und Perfektion
Auf der dritten Etage angekommen bewegt sich Jasmin entsprechend unauffällig. Mit geübtem Blick erfasst sie in Bruchteilen einer Sekunde, an welchen Zimmern das „Bitte nicht stören!“-Schild prangt. Hier ist der Eintritt strengstens verboten. Bei einem Zimmer ohne Schild klopft sie vorsichtig an und legt das Ohr auf die Tür. Jasmin ist unsicher, wiegt den Kopf von links nach rechts. Die Gäste dürfen keinesfalls gestört werden. Das Excelsior Hotel Ernst ist eine der Top-Adressen der Stadt. Im Jahr 2010 nahm der Inhaber Charles Roulet zum zweiten Mal stolz die prestigeträchtige Auszeichnung zum „Hotel des Jahres“ entgegen. Erst vor einem halben Jahr wurde mit großem Tamtam der 150. Geburtstag gefeiert. Wer hier nächtigt, erwartet diskrete Perfektion – und perfekte Diskretion.
Eine halbe Stunde pro Raum
Jasmin hat ein freies Zimmer gefunden. Trotzdem geht sie zunächst ganz vorsichtig auf Zehenspitzen hinein. Drinnen ist es dunkel und stickig, vielleicht schläft der Gast ja doch noch. „Hallo…?! Housekeeping…“ Doch dann – Entwarnung. Das durchwühlte Bett ist leer. Sie schaltet das Licht ein, zieht die Vorhänge auf und lässt frische Luft hinein. Jetzt geht es ans Werk. Exakt 30 Minuten haben die Zimmermädchen pro Raum. Ganz egal, in welchem Zustand das Zimmer hinterlassen wird. Wenn es einmal länger dauert, muss die Zeit später aufgeholt werden. Ohne lange zu fackeln, landet zu allererst der Aschenbecherinhalt im Müll.
Nikotingeruch und Kaffeeflecken
„Abgestandener Nikotingeruch ist für mich das Schlimmste“, murmelt sie und wischt dabei schon Make-Up vom Telefonhörer. Verklebte Kaffeetassen werden ausgetauscht, der Ausguss im Marmorwaschbecken von Haarklumpen befreit, die Schleiflackkommode spiegelglatt gewienert. Es ist keine Zeit für eine Verschnaufpause. Das Bett muss frisch bezogen, der weiche Teppichboden gesaugt werden. Jasmin krabbelt unter das Bett, kraucht über den Badezimmerboden und springt hoch, um den Duschkopf zu erreichen. Nach drei Zimmern hat sie rote Wangen und der Zopf sitzt längst nicht mehr so adrett.
Qualitätskontrolle für Sauberkeit
Jedes Zimmer ist anders, weil jeder Gast anders ist. Trotzdem ist die Arbeit ein wiederkehrendes Stakkato. Selbst für den Winkel, in dem die Abendschicht das Betthupferl auf den Nachttisch legt, gibt es exakte Vorgaben. Das sogenannte Finishing, also die letzten Handgriffe in einem Zimmer, wird auf den Zentimeter genau absolviert. Im Excelsior wird ohnehin kein Zimmer einem Gast übergeben, das nicht überprüft wurde. Schließlich muss hinter der perfekten Fassade auch makellose Sauberkeit stecken. Dafür gibt es die Hausdame. Heute hat Jasmin Pech, sie wird zurück in ein Zimmer gerufen. Am Rand der Toilettenschüssel sind noch Tropfen zu sehen und der Badewannengriff glänzt nicht genug. Das kostet zwar wieder Zeit, die Jasmin nicht hat, aber sie nimmt es gelassen. Da hat sie schon ganz andere Dinge erlebt, wie das Zimmer in das ein Gast auf den Boden gemacht hatte. Die zuständige Kollegin war an dem Tag krank und Jasmin musste die Grundreinigung übernehmen. Manchmal fragt sie sich, wie die Gäste wohl aussehen, die ihre Zimmer in einem unsäglichen Zustand übergeben. In den seltensten Fällen findet Jasmin es heraus. Manchmal sieht sie aber auch mehr, als ihr lieb ist.
Diskretion für die Privatsphäre
Einmal stand ein Gast splitterfasernackt vor ihr, weil er das höfliche Klopfen nicht gehört hatte. Sie kann sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, als sie die Geschichte erzählt, obwohl so etwas in einem Luxushotel nicht passieren darf. Strauß-Kahn-Momente und Beckersche Besenkammer-Szenarios gehören allerdings nicht zu ihrem Repertoire. Höchstens ein pikantes Detail, das unter dem Bett vergessen wird. Derartiges „Strandgut“ wandert allerdings gleich in einen Beutel für Fundsachen und muss den Vorschriften entsprechend dokumentiert werden. Auf was genau sie als Zimmermädchen schon mal stößt, verrät Jasmin nicht. Sie ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Zimmermädchen bewegen sich ständig in der Privatsphäre der Gäste. Das Hotel verlässt sich auf ihre absolute Diskretion – und einen blinden Fleck an der richtigen Stelle.
Hektik vorm Check-In
Zum Nachmittag wird es hektisch. Immer mehr Gäste reisen vor der üblichen Check-In-Zeit an und wollen in ihre Zimmer. Es muss nun noch schneller gearbeitet werden, obwohl Jasmin im Vormittag sowieso schon Zeit verloren hat. Für einen Plausch mit den Kolleginnen auf der gleichen Etage ist keine Zeit. Man lächelt sich freundlich zu oder hilft mit einem frischen Lappen aus. Die Standards des Luxushotels müssen auch unter höchstem Druck erfüllt werden. Als sie die Tür zu einer Junior Suite öffnet, rutscht ihr ein „O weia“ heraus. Hier haben die bereits ausgezogenen Gäste es wohl abends mächtig krachen lassen. Ein kurzes Schulterzucken, dann schiebt Jasmin die ersten Sessel zurück an ihren Platz.
Ein harter Arbeitstag
Um viertel vor vier zieht Jasmin zum letzten Mal die Kopfkissenzipfel so gerade, dass man ein Lineal daran halten könnte. 14 Zimmer liegen hinter ihr. Jasmin tun die Füße weh und sie freut sich auf ihr eigenes Sofa. Auch wenn zu Hause die Kissen keineswegs im perfekten Winkel angeordnet sind.